Im Würgegriff der Cut Off Zeit

Der Wettkampf ist vorbei und ich kann euch schonmal sagen, dass es anders lief, als ich es mir vorgestellt hätte. Was das heißt erfahrt ihr im untenstehenden Racebericht. Viel Spaß beim Lesen!

Der Morgen

Als um fünf Uhr der Wecker klingelte, fiel es mir zugegebenermaßen schwer, mich aus dem Bett zu schälen. Ich erhob mich dennoch und griff nach dem Lunchpaket, dass uns die Mutter des Pensionsbesitzers netterweise gepackt hatte. Darin befanden sich zwei Wurstsemmeln, eine Banane, ein Riegel und ein Apfelsaft. Ich ließ lediglich eine der beiden Semmeln und den Riegel übrig und machte mich dann an die letzten Vorbereitungen. Um 06:15 Uhr gingen wir dann los zum Racebriefing.

Dort wurden uns noch einmal alle wichtigen Informationen mitgeteilt. Wir erfuhren, wie die Wege und die gefährlichen Stellen markiert waren, wie wir einen Notruf absetzen und wo die Verpflegungsstellen zu erwarten waren. Zudem wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass die Bedingungen aufgrund des anhaltenden Regens deutlich erschwert waren, weswegen die Teilnehmer sich lieber mehr Zeit nehmen und vorsichtig sein sollten. Ein Hinweis, den der Rennveranstalter allerdings nur theoretisch unterstützte. Die Praxis im Rennen wich leider sehr stark davon ab…. Dazu mehr im nächsten Abschnitt.

Das Rennen

Nach dem Racebriefing ging es schließlich zur Ausrüstungskontrolle. Mir war nach den Anweisungen der Rennleitung bereits mulmig zumute, weswegen ich meinen Laufrucksack und dessen Inhalt mit zitternden Händen präsentierte. Übelkeit hatte sich in mir breit gemacht und ich konnte die aufkommende Panik kaum mehr im Zaum halten. Immer wieder fragte ich mich, was ich mir bei der Anmeldung des Laufes gedacht habe und kämpfte zeitweise gegen Tränen, die sich ihren Weg bahnen wollten. Ich machte mir Sorgen wegen der dünnen Luft, der schlechten Bedingungen und des technischen Geländes. Doch ehe ich mich versah, fiel schon der Startschuss und wir setzten uns in Bewegung.

Ich hielt mich bewusst im hinteren Teil des Feldes auf da ich schon wusste, dass ich zu langsam für den Großteil der Teilnehmenden war. Nachdem wir Obergurgl verlassen hatten, dauerte es nur etwa einen Kilometer, ehe wir auf den ersten großen Anstieg stießen. 700 Höhenmeter galt es dort zu überwinden. Wir marschierten im Gänsemarsch den Berg hinauf und ich merkte schnell, dass ich mich immer noch nicht vollends an die Höhenluft gewöhnt hatte. Mein Puls und meine Atmung schossen in die Höhe und es fiel mir immer schwerer, mit dem Rest der Gruppe schrittzuhalten. Ich kämpfte weiter, wurde aber schon bald von immer mehr Läufern überholt, bis schließlich nur noch wenige Personen hinter mir waren. Nachdem ich den Anstieg endlich hinter mich gebracht hatte, erblickte ich oben eine kleine Schafherde, die in einer idyllischen Landschaft stand und uns mit neugierigen Blicken musterte. Ich machte gemeinsam mit einer anderen Läuferin eine kurze Fotopause, ehe wir unseren Weg fortsetzten.

Ich hatte gehofft, dass es dort erstmal leichter und laufbarer wird, doch leider wurde diese Hoffnung schnell zerstört. Der Boden war matschig und rutschig und die Bäche quollen an vielen Stellen über, was das passieren jener beinahe unmöglich machte. So hatte ich nach fünf Kilometern bereits nasse Füße und kam aufgrund des glatten und unebenen Untergrunds nur langsam voran. Hier wurde ich abermals von einigen Läufern überholt und dann kam der Moment, vor dem ich mich am meisten gefürchtet hatte. Der Schlussläufer schloss zu uns auf und rief mir und den beiden Männern, mit denen ich eine Art Leidensgemeinschaft gegründet hatte, zu, dass wir uns beeilen sollen. „In 10 Minuten ist Cut Off beim Kippel. Ich laufe vor und gebe euch noch etwas mehr Zeit. Wenn ihr es nicht schafft, seid ihr raus.“ Wir ließen den Schlussläufer passieren und beschleunigten unsere Schritte, was sehr bald in sich häufenden Stürzen und Stolpern mündete. Der Läufer vor mir wäre einmal beinahe abgestürzt und konnte sich gerade noch so auf den Weg retten.

Wir versuchten dennoch das Tempo zu halten, bis ich kurz vor der ersten Verpflegungsstation von einem hohen Stein sprang. Ich weiß nicht genau wieso, aber aus irgendeinem Grund landete ich auf meinem ausgestreckten rechten Bein, hörte ein Knacken und spürte sofort einen stechenden Schmerz im Knie. Ich versuchte weiterzulaufen, doch die Schmerzen waren unerträglich. Hinter mir kam glücklicherweise ein Mann von der Bergrettung, dem ich unter Tränen versuchte zu erklären, was passiert war. Er breitete mir eine Rettungsdecke aus und musterte mein Knie. Wir beide wussten allerdings nicht, wie er mir nun helfen konnte, da das Knie keinerlei Schwellung oder sonstiges zeigte. Nur eine Sache war klar: Ein Weitermachen war ausgeschlossen. Er bot an, dass wir einen Helikopter rufen konnten, doch aus irgendeinem Grund wollte ich, trotz meiner DAV-Mitgliedschaft, lieber zu Fuß den Berg verlassen. Wir setzten uns langsam in Bewegung und er gab über Funk durch, dass ich aus dem Rennen ausgeschieden war. Das von ihm zu hören gab mir einen Stich, den ich kaum in Worte fassen kann. Irgendwie hatte ich bereits beim Start gewusst, dass das Rennen in einem DNF enden würde. Das ich nun verletzungsbedingt ausscheiden würde, war allerdings eine Wendung, die ich nicht vorhergesehen hatte. Kurz darauf hörte ich über Funk, dass die beiden Männer, mit denen ich eine Zeit lang gelaufen war, auch aus der Wertung geflogen waren. Sie hatten es nicht mehr rechtzeitig zur Verpflegungsstation geschafft.

Unter wahnsinnigen Schmerzen und meine Trailstöcke als Krücken nutzend, machte ich mich auf den Weg ins Tal. Nach einem Kilometer bot der Bergretter mit dem Namen Johannes an, schonmal nach unten zu laufen und das Auto zu holen, damit ich im Tal nicht mehr so weit laufen müsse. Ich nahm das Angebot dankend an und war ab da auf mich alleine gestellt. Als mir schließlich die Läufer der 26 Kilometer Strecke entgegen kamen, fiel es mir zunehmend schwerer meinen Trauer und meine Enttäuschung im Zaum zu halten. Ein paar Wanderer hatten mich sogar gefragt, ob ich denn keine Lust mehr hätte weiterzumachen. Genau das, was man in so einer Situation hören möchte! Während des Abstiegs telefonierte ich mit meinem Freund, um sicherzugehen, dass es zumindest jemand mitbekam, falls mir nochmal etwas zustieß. Ich war unendlich langsam, da ich mein Bein nicht abknicken konnte und aufpassen musste, dass ich nicht nochmal ausrutschte. Im Beisein von Johannes war ich schon einmal rücklings umgefallen, das wollte ich alleine keinesfalls wiederholen.

Es dauerte zwei Stunden und 15 Minuten, ehe ich den Abstieg absolviert hatte und im Tal angekommen war. Johannes hatte behauptet, dass dieser nur eine Stunde dauern würde. Hätte ich vorher gewusst, wie lange ich tatsächlich brauchen würde, wäre ich niemals zu Fuß vom Berg runter. Im Start/Ziel Bereich angekommen, nahm mich mein Freund Lukas in Empfang. Eigentlich wollten wir direkt zurück zur Pension, machten dann aber doch einen ungeplanten Zwischenstopp.

Die Diagnose

Auf dem Weg zur Pension passierten wir einen Arzt, bei dem wir spontan anhielten. Ich wollte Klarheit haben und fühlte mich nicht wohl bei dem Gedanken, den Arztbesucht nach hinten zu schieben. In der Praxis wurde mein Knie geröntgt und es stellte sich schnell raus, was nun kaputt war. Meine Kniescheibe war gebrochen. Allerdings meinte die Ärztin, dass der Bruch sehr sauber sei und die Chancen gut standen den Bruch ohne OP ausheilen zu lassen.

Ich wurde mit einer Schiene, Krücken, Schmerzmittel, einer Bandage, Kühlgel, Kompressen und Thrombosespritzen ausgestattet. Eine Stunde später verließen wir die Praxis und ich war dankbar, dass zumindest keine Sehnen oder Bänder betroffen zu sein schienen. Dennoch bedeutete diese Diagnose eine mindestens vier-wöchige Sportpause. Zu dem Zeitpunkt hatte ich dies und die Folgen der Diagnose allerdings noch nicht wirklich realisiert.


Was nehme ich aus dieser Erfahrung mit?

  1. Ab 2.000 Höhenmetern erfordert der Sauerstoffgehalt in der Luft doch einen gewissen Gewöhnungseffekt
    Sollte ich nochmal einen derart alpinen Lauf absolvieren, muss ich mich darauf fokussieren diesen auch zu erreichen.
  2. Mit steigender Distanz steigen auch die Ansprüche an die Läufer
    Tatsächlich habe ich nicht damit gerechnet, dass bei den weiteren Distanzen höhere Ansprüche an die Leistungsfähigkeit der Läufer gesetzt werden. Ich dachte, dass das Absolvieren der Strecken im Fokus steht und nicht die Zeit ein entscheidender Faktor werden würde. So etwas habe ich bislang nie erlebt, auch nicht beim Pitzalpineglaciertrail (PAGT).
  3. Veranstalter sollten früher reagieren und die Sicherheit der Läufer priorisieren, nicht die eigene Haftung
    Ich finde es schade, dass beim Racebriefing zwar gesagt wurde, man solle sich mehr Zeit nehmen, aber uns diese nicht eingeräumt wurde. Später hat der Veranstalter die Cut Off Zeit nach hinten geschoben, meiner Meinung nach hätten sie das aber von vornherein machen müssen. Durch das Hetzen über den rutschigen Boden haben sie riskiert, dass die Läufer ernsthaft zu Schaden kommen, weil sie nicht die Zeit hatten, um ihre Schritte mit Bedacht zu setzen. Ich würde mich freuen, wenn die Cut Off Zeiten in Zukunft an die Bedingungen angepasst werden würden.
  4. Hochalpine Läufe sind eine Klasse für sich
    Ich wusste das zwar schon nach dem PAGT, aber diesmal ist es mir noch stärker vor Augen geführt worden was es heißt im Hochgebirge zu laufen. Falls ich nochmal einen solchen Lauf machen möchte, muss ich die Vorbereitung anders angehen. Beinahe jeder Abschnitt dieser Strecke war technisch anspruchsvoll, das muss ich in Zukunft noch mehr trainieren.
  5. Nicht vom Cut Off hetzen lassen
    Falls ich in Zukunft noch einmal in so eine Situation kommen sollte, werde ich mich nicht mehr vom Schlussläufer jagen lassen. Ich bereue es etwas, dass mir das Finish in diesem Moment wichtiger war als meine eigene Sicherheit. Ein DNF wegen Nichterreichens der Cut Off Zeit wäre deutlich schneller überwunden als mein Knochenbruch.

Ich bin gespannt, wie schnell ich wieder auf die Beine komme und freue ich auf mein Come Back.

Vielen Dank fürs Lesen! Bitte bleibt gesund und passt auf euch auf!