Ich schwamm inmitten einer farbenfrohen, in Funktionskleidung gehüllten Masse in Richtung Startblock. Die Atmosphäre war erfüllt von einem Mix aus freudiger Aufregung und Anspannung. Laute Musik und die Ansagen des Moderators hallten über das Getümmel.
Noch 30 Minuten bis zum Start. Wir machten noch schnell ein Foto an der Startlinie und widmeten uns dann der Hauptbeschäftigung vor jedem Wettkampf: Dem in der Dixi-Schlange stehen. 10 Minuten vor dem Fallen des Startschusses reihte ich mich in den Startblock ein. Wenige Meter hinter mir erspähe ich zwei Zeitläufer, die Fahnen mit der Zeit „vier Stunden“ am Rücken befestigt hatten. Ob ich es schaffen würde, die ganzen 42,2 Kilometer vor ihnen zu bleiben?
Dann ging es endlich los. Die Masse an Läuferinnen und Läufern setzte sich in Bewegung. Nun gab kein zurück mehr. Es dauerte einige Minuten, ehe sich das dicht gedrängte Feld entzerrte und wir langsam Fahrt aufnehmen konnten. Während wir über die Reeperbahn liefen merke ich, dass die Wärme eine Herausforderung darstellen könnte. Ich war froh darüber, dass ich einen Liter Wasser in meinem Rucksack dabei hatte und so bereits vor der ersten Verpflegungsstation nach Belieben trinken konnte.
Die Kilometer verflogen und wir näherten uns den Landungsbrücken. 11 Kilometer waren geschafft und ich fühlte mich gut. Seit Kilometer fünf gab es nun alle 2,5 Kilometer eine Verpflegungsstation, welche ich jedes Mal nutzte, um mich abzukühlen und teilweise meine Flaschen wieder aufzufüllen. Mein Freund wartete an mehreren Stellen an der Strecke auf mich und ich freute mich, ihn dort das erste Mal in der Masse zu erspähen. Für ihn war es garantiert nicht einfach gewesen, mich in der bunten Masse zu erkennen, doch ihm gelang es, im Gegensatz zu mir, jedes Mal.

Kurze Zeit später passierten mich schließlich die beiden vier Stunden Läufer. Zu diesem Zeitpunkt war mir jedoch schon klar, dass ich bei den Temperaturen das Tempo nicht über die volle Marathondistanz aufrecht erhalten konnte. Ich ließ also abreißen und nahm mir weiter an allen VP’s Zeit zum Abkühlen. Neben dem Trinken klappte auch die Nahrungsaufnahme überraschend gut. Meine übliche Strategie bestand daraus, alle 30 Minuten einen Riegel und dann innerhalb der nächsten 30 Minuten ein Gel zu mir zu nehmen. Doch während dieses Laufs bekam ich oft bereits nach 15 Minuten wieder Hunger. Da ich mir nicht sicher war, wie lange dieser Zustand halten würde, folgte ich meinem Körper und aß, wann immer mir danach war.
Nach knapp 2 Stunden und 5 Minuten fiel schließlich die Halbmarathonmarke. Halbzeit. Endlich. Ab diesem Zeitpunkt sah ich deutlich, wie etliche Teilnehmer:innen an ihre mentale Grenze kamen. Viele begannen zu gehen und die Anzahl an Sanitätereinsätzen an der Strecke häufte sich zunehmend.
Bei Kilometer 25 kam dann etwas, womit ich an dieser Stelle nicht gerechnet hätte: Das Runners-High! Plötzlich fühlten sich die müden Beine wieder munter an und ich kam mir vor, als würde ich einen gemütlichen Longrun absolvieren. Ich nahm diese unerwarteten Hochgefühle dankbar an und war erleichtert, dass sie mich erst bei Kilometer 30 wieder verließen.

Nun begann auch bei mir langsam der mentale Kampf um die letzten 12 Kilometer. Ich war nun seit etwas mehr als drei Stunden unterwegs. Die Verpflegung klappte weiter gut, doch nach der Euphorie der letzten fünf Kilometer folgten nun immer schwerer werdende Beine, die ein lockeres Weiterlaufen unmöglich machten. Von nun an hangelte ich mich mental von VP zu VP und erlaubte mir nur dort aus dem Laufschritt ins Gehen zu wechseln. Diese Strategie klappte die nächsten acht Kilometer ziemlich gut, doch dann merkte ich, dass die Energie, welche ich zum Wiederanlaufen benötigte, immer weiter anstieg. Das bedeutete einen Planwechsel: Keine Gehpausen mehr an den VP’s für die letzten vier Kilometer. Meine Beine waren mittlerweile tonnenschwer geworden und ich sah immer mehr Teilnehmer:innen krampfend am Streckenrand oder langsam gehend. „Wenigstens kann ich noch laufen“, dachte ich und zwang mich weiter vorwärts.
Wenig später begann meine linke Socke damit, mir einen Strich durch die Rechnung zu machen. Diese hatte sich unter meiner Fußsohle zu einem Wulst aufgerollt und rieb mir jene wund. Ich versuchte die Schmerzen zu ignorieren, was mir bis Kilometer 40 mehr oder weniger erfolgreich gelang. Dort wurden die Schmerzen allerdings so unerträglich, dass ich mich zum Stehenbleiben gezwungen sah und an einen LKW gelehnt meinen Schuh auszog. Meine Beine waren mittlerweile gut übersäuert und es fühlte sich an, als würde eine falsche Bewegung ausreichen, um eine unangenehme Krampfwelle auszulösen.
Nach dem Sockenkorrigieren setzte ich mich ein letztes Mal in Bewegung und kämpfte mich weiter Richtung Ziellinie. Als ich den Zielbereich dann endlich erahnen konnte, schossen mir plötzlich Tränen in die Augen. Auch wenn es mir relativ gut ging, war ich dennoch froh zu wissen, dass ich es bald geschafft hatte.
Diese Rührung wurde jäh von einem unerwarteten Bild unterbrochen. Ein Läufer lag am Streckenrand am Boden, über ihm kniete eine Person, die ihm eine Mund-zu-Mund-Beatmung zu geben schien. Wenige Sekunden später rannte eine Sanitäterin auf den Läufer zu. Mir gefror das Blut in meinen Adern. Im Laufe der Strecke hatte ich so häufig wie nie zuvor gesehen, wie Läufer:innen medizinisch versorgt werden mussten. Erst jetzt wurde mir klar, dass wir hier gemeinsam etwas taten, was viele an und über den Rand ihrer Belastbarkeit brachte. Zu diesem Zeitpunkt war ich einfach nur dankbar, dass mein Körper diese Strapazen mitmachte und ich noch weit weg von dieser Grenze zu sein schien.
Nach dieser Schreckensszene bog ich endlich auf die Zielgerade und überquerte breit grinsend die Ziellinie. Ich hatte es geschafft und meinen ersten Marathon erfolgreich absolviert. 4 Stunden, 22 Minuten und 47 Sekunden hatte es gedauert bis zu diesem Moment. Nicht zu vergessen die Wochen und Monate an Vorbereitung, die sich nun endlich ausgezahlt hatten.

Das war er also, mein erster Marathon. Auch wenn ich die angestrebte Zielzeit nicht geschafft habe, bin ich dennoch zufrieden mit dem Ergebnis und freue mich schon auf das nächste Mal. Allerdings wird der nächste Marathon diesmal nicht auf der Straße, sondern auf den Trails stattfinden! Falls ihr euch für die Vorbereitung auf dieses Projekt interessiert, folgt mir gerne hier und auf Instagram!
Was war mein größtes Learning aus diesem Lauf?
So simpel es klingt: Höre auf deinen Körper.
Ich bin mir sicher, dass dieser Lauf völlig anders verlaufen wäre, wenn ich an meinen vorab zurechtgelegten Plänen und Strategien festgehallten hätte. Am Ende ist für mich immer das Erlebnis im Vordergrund und nicht die Leistung, ich bin schließlich eine Hobbyläuferin und keine Profiathletin.
Vielleicht helfen euch meine Erfahrungen ja bei eurem ersten Marathon. Lasst es mich gerne wissen, falls ihr noch Fragen habt!